Anne Simone Krüger'

Thomas Riess
FLOW



Ströme von Bildern bestimmen das Wesen unserer zunehmend medialen Gesellschaft. Sie umschwirren uns in der Presse, überfluten uns auf den Social-Media-Kanälen und wabern über digitale Werbeanzeigen. Wir registrieren sie als Teil unserer Umwelt – aber nehmen wir sie auch wahr? Und vor allem: Wie? Diesen Fragen geht der 1970 in Tirol geborene Künstler Thomas Riess in seiner ersten Einzelausstellung in Deutschland nach. Seine Malereien und Collagen, die bereits in zahlreichen öffentlichen und privaten Sammlungen vertreten sind, setzen sich mit unserer Wahrnehmung und dem Realitätsbezug von medialen Bildern auseinander.

Die oft fotorealistisch gemalten Arbeiten erfahren durch abstrakte Übermalungen spannungsreiche Brüche. Meist sind es die Gesichter der Figuren, die mit breiten Pinselstrichen verwischt sind und Irritation auslösen. Die nach Vorlagen aus Zeitschriften entstandenen Bilder lassen das Subjekt zum Objekt werden – denn was bleibt ist Ungewissheit über das, was verborgen ist. So verlagert sich der Schwerpunkt dieser Malereien: Informationsträger sind nicht länger die figurativen Elemente. Stattdessen übernimmt das Nicht-Sichtbare den narrativen Part. Und stößt zahlreiche Assoziationsketten an.

Gleichzeitig wird gerade durch die verborgenen Gesichter die Frage nach Identität umso eindringlicher gestellt. Bereits der französische Philosoph Jean-Paul Sartre bemerkte, dass Fotos kein Leben haben, dass sie vortrefflich die äußeren Merkmale einer Person, nicht aber ihren Ausdruck wiedergeben(1).  Diese Erkenntnis gewinnt in Zeiten absoluter Selbstdarstellung Hochkonjunktur. Denn gerade dadurch, dass die mediale Inszenierung der eigenen Person auf Instagram, Facebook und Co. zum Mainstream geworden ist, haben solche Fotos keinerlei identitätsstiftenden Gehalt mehr. Sie tauchen vielmehr in die Wogen des globalisierten Bilderstromes ein. Gerade die Transformation in Malerei macht diese subjektive Fehlstelle umso offensichtlicher.

Darüber hinaus thematisiert sich die Malerei in den verwischten Stellen selbst. Und legt offen, was wir in Anbetracht des Bildes oft vergessen: das es nämlich keinesfalls mit der Realität gleichzusetzen ist. Sowohl das Foto, als auch die Malerei sind letztlich Illusionen, Inszenierungen in Farbpigmenten. Deutlich wird dies auch in den Collagen, die darüber hinaus Teile verschiedener Realitäten zu neuen Kontexten zusammenfügen. Durch die Hervorhebung einzelner Bildteile gerade durch ihr Verbergen wird betont, dass wir auch ohne dieses Verbergen nie alle Informationen eines Bildes wahrnehmen, dass wir stets selektieren und filtern. Die Titel tragen ihren Teil dazu bei, den Besucher der Ausstellung mit einem neuen Blick auf das Bild im allgemeinen und die eigene Wahrnehmung im Besonderen zurückzulassen. Durch ihre Zweideutigkeit lenken sie die Assoziationen, verweisen in Richtungen, die mit dem Bildinhalt selbst nichts zu tun haben. Sein und Schein, Wirklichkeit und Täuschung erfahren in den Werken von Thomas Riess eine irritierende und gleichermaßen faszinierende Visualisierung.


(1) Vgl. Jean-Paul Sartre: L’imaginaire. Éditions Gallimard, 1940.