Tina Teufel'

Thomas Riess. I am I am not



Thomas Riess erzählt mit seinen Gemälden, Collagen und Filmen Geschichten. Hauptakteur seiner Erzählungen ist die Zeit: Sie tritt in den unterschiedlichen Medien des Künstlers auch differenziert in Erscheinung, gemeinsam ist ihnen die Erfassung der Zeit in einem dynamischen Moment. Riess‘ Collagen werden zu lebendiger Narration. Ähnlich William Kentridge lassen uns seine animierten Filme am Entstehungsprozess teilhaben und verdeutlichen, was mit Erinnerungen und Ereignissen in unserem Gehirn passiert: In zahlreichen, mittels Foto dokumentierten Arbeitsschritten überlagert er Schicht für Schicht Fotos, Zeitungs- und Magazinausschnitte, Farbschichten, vor allem aber fotografische Auseinandersetzungen mit dem eigenen Konterfei, die er zusammenstellt, überlagert, neu interpretiert und zunächst teilweise, dann wieder gänzlich löscht. In einem statischen Medium fixierte Abläufe werden von Thomas Riess  wieder eine dynamische Form übertragen, die unsere Wahrnehmung zu täuschen vermag. Wie in unseren eigenen Erinnerung, bleiben oft nur Fragmente von collagierten Bildern für einen bestimmten Zeitraum bestehen, werden zum Teil von neuen Eindrücken – in diesem Fall Collageelementen – überlagert, welche die Vorlage anfangs sogar manchmal noch durchscheinen lassen, aber meist überdecken, aus dem Kontext nehmen und mit neuen Elementen vermischt für weitere Assoziationen freigeben. Er erzählt in Bildern assoziativ, ermöglicht die Nachvollziehung seines künstlerischen Denkprozesses, konterkariert eine sinnvoll-chronologische Auseinandersetzung mit Veränderungsprozessen der eigenen Person, lässt dabei aber viel Raum für die Betrachterin – für Eigeninterpretation ebenso wie für die geistige Weiterführung in jedem von uns. Thomas Riess ist dabei wichtig, dass die Wahl des chronologischen Ablaufs keine Konstante formuliert, sondern prinzipiell eine beliebig wählbare Sequenz eines größeren Ganzen. Die neben den Animationsfilm gestellte Collage bildet somit einen Status quo, der nicht zwingend der Endgültigkeit unterliegt. Das statische Werk lässt Spuren der rhythmischen Bearbeitung erahnen. Ohne den Film bleibt ein wichtiger Aspekt des Werkes verborgen, wie auch im menschlichen Dasein vieles unterhalb der Oberfläche, jenseits von Sein und Schein, ebenso wie (frühere) Facetten des Ich unerkannt bleiben.

Mit fotografischen Vorlagen arbeitet Thomas Riess auch in seinen Gemälden. Obschon seine Gemälde, Videos, Collagen und Zeichnungen in gewisser Weise eindeutig den Menschen als Thema aufgreifen, ist seine Herangehensweise in konzeptueller wie materieller Art und Weise herausfordernd für die Betrachter_innen. Vor allem die aus Korrekturband und Acryl entstandenen Bilder fordern dazu auf, die eigene Wahrnehmung und ihre Evolution innerhalb der Entwicklung immer neuer Bildmedien und –qualitäten ebenso wie die Emotionen, die seine Werke hervorrufen zu ergründen. Das Korrekturband, das eigentlich etwas vermeintlich Falsches löschen beziehungsweise abdeckend unlesbar machen soll, wird hier zur Sichtbarmachung verwendet. Sein Weiß erhebt sich aus dem homogenen Schwarz des gemalten Unter- und Hintergrundes. Die als Bildstörung wahrgenommene Setzung des Korrekturbandes auf dem Grund lässt an die Übertragung eines analogen, im Zeitalter von High Definition altertümlich erscheinenden Satellitenbildes denken. Egal ob Tiefseetaucher, Astronaut, anonymer Obdachloser oder – wie hier – Mensch im Schutzanzug, die Figuren sind mehr Erscheinungen denn physisch reale Personen, enthoben jeglicher Anbindung an einen fassbaren Umraum, auf sich selbst zurückgeworfen. Dieses Herauslösen aus einem kausalen Kontext gilt auch für die Collagen und aus dem Collagierungsprozess entstandenen Filme des Künstlers. In allen Medien werden seine Vorlagen durch die künstlerische Intervention in zeichnerischer wie malerischer Form in einen neuen Kontext gesetzt und durch Übermalung wieder gelöscht – der Mensch kreiert seine Geschichte(n) selbst und dokumentiert die Zeit als seine ständige Begleiterin.

Tina Teufel (Kuratorin Museum der Moderne Salzburg)