Silvie Aigner'

THOMAS RIESS - In den Zwischenräumen des Lebens



Das eindeutige Thema in den Arbeiten von Thomas Riess ist der Mensch. Oder doch nicht? Schon allein mit dem Begriff Malerei stößt man schnell an seine Grenzen und merkt dass eine eindeutige Positionierung des Künstlers auf diesem Weg nicht funktioniert und das Thema Figur bzw. Mensch auch nicht all das umschreibt, was mittels seiner Malerei transportiert wird. Allein die Tatsache, dass ein Künstler sich so vehement mit Tiefseetauchern und Astronauten beschäftigt, lässt erahnen, dass der Betrachter aufgefordert wird, bekanntes Terrain zu verlassen, um sich in das prekäre Verhältnis zwischen Wahrnehmung, Wirklichkeit und Interpretation derselben aufzumachen. Die Herausforderung dieses in eine neue Realität – in jene des Bildes – zu übersetzen, ist dem Kunstschaffen immanent und daher auch für Tom Riess unausweichlich. Doch selbst dann, wenn er für sich die Zwischenräume des Lebens benennen kann, so steht er in der Folge vor der Herausforderung, diese auch für den Betrachter sichtbar zu machen. Letztlich wirft ihn die Arbeit allen Ablenkungsmanövern, wie dem Motiv, der konzeptuellen Idee oder der Auseinandersetzung mit dem Material zum Trotz, daher auch immer wieder auf die Frage nach der eigenen Existenz zurück und fordert ihn heraus seine Grenzen auszuloten und gegebenfalls zu überschreiten. Aus der persönlichen Auseinandersetzung wird eine allgemeine These womit wir dann letztlich wieder vor der Frage stehen: Kann Kunst die philosophischen Gedankenschleifen des Künstlers abbilden oder zumindest einen Teil davon und wofür stehen in diesen Überlegungen die Tiefseetaucher oder Astronauten, Wellenreiter oder Spacesurfer? Den Bildern haftet etwas Rätselhaftes und Geheimnisvolles an. Man erwartet, dass etwas geschehen wird, etwas Seltsames, Wunderliches, Symbolisches. Ein bedeutungsvoller Fingerzeig, etwas in der Art einer Vision, etwas, das eine Wahrheit vermuten lässt, aber darüber im Unklaren lässt, welche.

Der Raum in dem sich seine Protagonisten bewegen ist zumeist schwarz oder weiß. Ein endloser Raum in den unendlichen Weiten des Weltalls. Wir schreiben das Jahr 2010 in unser Logbuch des Raumschiffs..... Assoziationen zu Bildern tauchen auf, durch die man den Weltraum vor Jahrzehnten via Low Budget Produktionen in unsere Wohnzimmer beamte. Die Assoziationskette ist zulässig, bezieht sich Tom Riess doch in seinen Überlegungen auch auf die Sciene Fiction Parodie „Dark Star“ von John Carpenter aus dem Jahr 1974. Dark Star ist ein Raumschiff, das seit zwanzig Jahren im All auf der Suche nach instabilen Planeten unterwegs ist. Der Film, dessen katastrophales Ende sich durch die kausale Verkettung verschiedener Ereignisse bereits am Anfang anbahnt, erzählt nicht nur von der völligen Abgestumpftheit und Kommunikationsunfähigkeit der Crew, sondern auch vom Dialog mit der letztlich explodierenden Bombe 20. Sie ist trotz einer Reihe von falschen Befehlen, zunächst noch willens nach eingehender verbaler Überredungskunst eines Computers, in den Bombenschacht zurückzukehren. Doch letztlich kulminiert der Film in einer Unterweisung der nun bereits scharfen Bombe 20 in Phänomenologie durch den Astronauten Doolittle, der dafür sogar aus dem Raumschiff klettert. Ein leider nur vermeintlicher Ausweg aus der Katastrophe. An dieser Schnittstelle setzt Tom Riess mit seien Überlegungen an – nicht an der Explosion – sondern am Dialog über das Phänomen der Realität, was uns der Erklärung warum der Künstler ein gewisses Faible für Taucherbrillen, Schutzhelme, Taucherglocken und Astronautenhelme hat, etwas näher bringt.

Die Protagonisten seiner Bilder bewegen sich in einem anderen System. Sie sind ausgesetzt in einem Raum, in dem sie ohne Schutzbekleidung nicht überlebensfähig sind. Die Kommunikation mit der Außenwelt ist möglich, jedoch durch die technische Hilfe. Doch ohne einen direkten Kontakt ist man sich der Realität der Informationen die man erhält noch sicher? Welche Informationen lässt man zu sich und welche weist man ab? Auch Doolittle versuchte der Bombe klar zu machen, dass sie alle Informationen über die sie umgebende Außenwelt nur durch Sensoren aufnimmt und daher nicht sicher sein kann, ein authentisches Bild der tatsächlichen Realität zu erhalten. Phänomenologie als Bezeichnung für die Erkenntnis als Vorstellung im Unterschied zum Ding an sich, wie Kant diesen Begriff in der Naturphilosophie verwendete bzw. als Theorie der Erscheinungen. Diese impliziert jedoch auch, dass der Irrtum (der Schein) aufgedeckt werden muss, um zur Wahrheit vorzudringen aber auch, dass der Schein zuweilen zur subjektiven Realität wird. Als diese bezeichnen wir oft jene Welt, die uns bekannt ist. Das was wir nicht kennen, kann einfach nicht sein, was letztlich bereits Platon in seinem Höhlengleichnis aufzeigte. Doch ist nun der leere Raum in den Bildern von Thomas Riess, jene „terra ingocnita“, die von seinen Figuren erst befüllt werden muss, oder ist es eher so, dass der Astronaut oder der Taucher eine Realität für sich darstellt, ein völlig autarkes System, angehängt an Schläuchen, die ihn mit dem Lebensnotwendigen versorgen. Auch Bombe 20 kam letztlich zum Schluss, dass außer ihr nichts existiert und beginnt daher ihre eigene Version der Schöpfungsgeschichte zu erzählen. Je mehr man eindringt in die Geschichte der Bilder von Thomas Riess desto unausweichlicher wird die Auseinandersetzung mit dem was man gemeinhin Leben nennt. Wie weit reicht darin der Schutzmantel des Einzelnen? Was erkennen wir als Wahrheit an und wie weit reicht unsere Vorstellungskraft, die uns ermöglicht das  Andere, Fremde, das über das Eigene hinaus geht überhaupt erst zu realisieren? Dies ist eines der Themen die den konzeptuellen Überlegungen von Tom Riess zugrunde liegen. Ebenso wie das Zurückgeworfen sein auf die selbstverständlichen Funktionen der Atmung. Diese wird uns erst bewusst, wenn sie aus ihrem Automatismus gekippt wird, in einer Welt, die für die menschliche Existenz nicht geschaffen ist, in die wir jedoch eindringen und versuchen uns darin zu bewegen. Der Schutzanzug wird zum Panzer, zur zweiten Haut, die uns nach außen hin abgrenzt. Die Metapher sind evident, jedoch nicht immer angenehm, hält uns Tom Riess doch damit zugleich auch einen Spiegel vor. Vielleicht ist die Antwort ja einfach loszulassen, wie Doolittle der, als der die Ausweglosigkeit der Lage erkennt, in einem allerletzten Wellenritt über die Planeten surft. Auch in Jim McBrides Film „Atemlos“, einem poppigen Remake des Jean Luc Godards Films „Außer Atem“, war der „Silberne Surfer“ das Symbol für die völlige Freiheit, in einer grenzenlosen Welt. Aber Thomas Riess zeigt uns, dass wir diese ohne die Helme und Schutzkleidung eben nicht erreichen können. Doch anderseits: wer diesen nie verlässt, wird letztlich nie mehr sehen und erleben, als das was ihn unmittelbar umgibt. Dabei stellt Thomas Riess die Umgebung seiner Protagonisten zumeist gar nicht dar. Nur in einigen Bildern verortet er die Taucher in einem See oder in einem Wasserbecken. Doch in den großformatigen Leinwänden, erscheint das Wasser oder die Luft nur in unserer Assoziation, denn rein formal ist es eine monochrome Farbfläche, auf die der Künstler seine Figuren setzt. Diese werden mittels Korrekturbandroller aufgetragen. Der Ausgangspunkt ist gefundenes oder selbstgemachtes Fotomaterial, das als mediales Archiv dem Künstler zu Verfügung steht und als Impulsgeber dient. Das Auftragen mittels des immer gleichen Arbeitsvorganges wirkt einerseits wie eine Verdichtung und andererseits wie eine Auflösung. Was keinen Widerspruch darstellt. Der langsame Arbeitsprozess erzwingt eine Beschäftigung mit dem Bild über einen langen Zeitraum hinweg. Die vielfältigen Gedanken, die möglichen Wegnetze die sich angesichts der grundierten Leinwand ergeben, müssen konkretisiert und gebündelt werden. Andererseits wird die geschlossen Figur des medialen Ausgangsbildes aufgelöst, ähnlich der Pixel am Computer besteht auch im fertigen Bild von Tom Riess die Figur aus einer Vielzahl von einzelnen mehr oder weniger dicht nebeneinander gesetzten Klebebandstrichen, die nahsichtig gesehen eine abstrakte Farbfläche bilden und erst in der Gesamtschau das Motiv erkennen lassen. Dem individuellen Duktus des Malers wird der Korrekturbandroller als Übertragungsgerät zwischengeschaltet. Charakteristisch für diese Werkserien ist ihr Verzicht auf Farbe. Die Reduktion auf Schwarz/Weiß erhöht die Präsenz der Materialität und verleiht den Arbeiten zugleich etwas Graphisches, obwohl sie mit dem Medium Zeichnung im eigentlichen Sinn kaum vergleichbar sind.

Auch wenn man sieht, was dargestellt ist bleibt die Irritation vorhanden, vor allem weil das Thema so konsequent durchgezogen ist, wird dem Betrachter schnell klar, dass es sich nicht einfach um ein zufälliges Motiv handeln kann. Zusammenhänge werden gesucht, Inhalte interpretiert. Diese Situation der Unsicherheit in der Wahrnehmung nützt Tom Riess auch in seinem Video aus. Dieses stellt den letztlich am Schluss erkennbaren Gegenstand nicht nur auf den Kopf, sondern nützt den Schmelzvorgang des Wachshelms um das Ding im Video erst eigentlich zu gestalten. Dieser Vorgang erscheint wie von Geisterhand inszeniert. Die Teile formen sich in einer faszinierenden Ästhetik, krümmen sich, verschmelzen und langsam wird daraus ein Helm. Das Wachs wird, so lässt uns das Video glauben, von einer unsichtbaren Quelle zugeführt, begleitet von den Atemgeräuschen eines Tauchers im Wasser. Die Inszenierung gelingt perfekt, bis zum Schluss ist nicht klar wie der Vorgang ausgeht.

So erleben die Betrachter die Arbeiten von Tom Riess als Antwort und Frage zugleich. Vielleicht ist es so wie Markus Lüpertz meinte, dass ein Kunstwerk erst im Kopf dessen existiere, der es sieht, erst über die Aussage des Betrachters erhält das Bild einen Eigennamen der polyphon und niemals eindeutig klingt. Letztlich sind Kunstwerke so Lüpertz eine „paradoxe Schaukel“. Auch Theodor W. Adorno reflektierte seiner Ästhetischen Theorie den Rätselcharakter der Kunst: Mit den Rätseln teilen die Kunstwerke die Zwieschlächtigkeit des Bestimmten und Unbestimmten. Sie sind Fragezeichen, eindeutig nicht einmal durch Synthesis. Dennoch ist ihre Figur so genau, dass sie den Übergang dorthin vorschreibt, wo das Kunstwerk abbricht. Wie in Rätseln wird die Antwort verschwiegen und durch die Struktur erzwungen. Der Zweck des Kunstwerks ist die Bestimmtheit des Unbestimmten. Vielleicht ist es daher wirklich so, wie Nietzsche annahm, dass die dass die Kunst dem Menschen hilft, sich das Ganze des Daseins bewusst zu machen. Ein Mittel zu einer sensiblen Annäherung an die kaum fassbaren Zwischenräume des Lebens ist sie allemal.

Silvie Aigner (Kuratorin)



Verwendete Literatur:
Friedrich Nietzsche, Nachgelassene Fragmente 1884-1885, Ditzingen, 1995
Markus Lüpertz, Der Kunst die Regeln geben. Ein Gespräch mit Heinrich Hell, Zürich 2005
Theodor W. Adorno, Ästhetische Theorie, Gesammelte Schriften, Frankfurt am Main 1990



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